Freitag, 5. Juni 2015

Ist der Koran wirklich zuverlässig? - Die Syro-aramäische Leseart, Hadithe und Koranversionen

Der Koran ist unerschaffen. Muhamad hat den Text von Gott durch die Vermittlung des Erzengels Gabriel erhalten und 1:1 an seine Nachwelt überliefert. Jedes Wort ist korrekt, authentisch und unverrückbar, heilig und ewig gültig. Es gibt nichts auf der Welt, vergangen, gegenwärtig oder künftig, was nicht im Koran enthalten wäre. Der Koran in der Fassung des Kalifen Othman ist der einzig authentische Koran, so wie er dem Propheten Muhamad mitgeteilt wurde. Die Kairoer Fassung von 1924 entspricht vollkommen dem Koran des Othman und ist somit die identische Kopie des im Paradies aufbewahrten Originals.

So hört sich die Aussage von Islamischen oder allgemein Korankundigen Gläubigen an. Doch ist dem wirklich so? Da sehr oft auf die Unzuverlässigkeit der Bibel rumgehackt wird, sollten Menschen - besonders Muslime - sich ihr eigenes Buch anschauen. Ist der Koran und die Geschichte rund um Muhammad wirklich so perfekt und unverfälscht? Das wollen wir uns hier genauer ansehen. Fangen wir diesmal nicht mit Islam Wissenschaftlern an, die eine voreignommne Meinung vertreten, sondern schauen uns die kritische Gegenseite an.

Fangen wir mit Ignaz Goldziher (1850-1921), Altmeister der Islam Forschung an. In seinen „Muhammedanischen Studien“ (Halle 1889) bezeichnet er die Hadithe (anekdotenhafte Sammlungen über Aussprüche und Taten Mohammeds) als pure Fälschungen aus späteren Zeiten. Der italienische Frühislam-Spezialist Leone Caetani (1869 – 1935) und der Belgier Henri Lammens (1862 – 1937), der im Libanon lebte und die neuen wie die alten orientalischen Sprachen beherrschte, sind derselben Meinung. Nach dem sowjetischen Islamwissenschaftler Morozow ist der Koran nicht vor dem 11. Jahrhundert komplettiert worden, erst mit den Kreuzzügen habe der Islam eine eigene Identität angenommen. Sein Kollege Lucjan Klimowitsch nennt Mohammed und die Kalifen mystische Figuren, die nachträglich etabliert worden seien. Der Franzose Regis Blachere (1900 – 1973), Koranübersetzer und Spezialist für arabische Literatur, fasst seinen Versuch, das Leben Mohammeds zu rekonstruieren, so zusammen: Im Endresultat gebe es keine Quellen, die das ermöglichten. Die traditionellen Überlieferungen seien wissenschaftlich unbrauchbar, der Koran selber sage nichts zu diesem Thema.

Der Koran besteht aus 114 Suren, die sich aus einer Anzahl von Versen, 4 bis 286 pro Sure, zusammensetzen. Diese Suren wurden nach traditioneller Darstellung von Muhamad über einen Zeitraum von 23 Jahren seiner Umgebung vermittelt. Der Prophet selber zog jedoch bisweilen Suren zurück oder änderte sie ab, Verse verschwanden. So bezeugt der Schreiber Ubay, die Sure 33 (al-Ahzab) habe 200 Verse umfasst, vorhanden waren aber letztlich nur noch 73. Aischa, die Lieblingsfrau des Propheten, berichtete, sie habe ein paar Verse unter dem Bett aufbewahrt, die seien aber von einer Ziege gefressen worden. Kurz nach dem Tode Muhamads begann sein schreibkundiger Gefährte Ibn Thabit mit der Zusammenstellung der vorhandenen Schriftstücke, aber es gab bald sieben verschiedene Versionen. Auf Befehl des dritten Kalifen Othman (Regentschaft 644 – 656) erstellte Ibn Thabit abermals, zusammen mit ausgewählten Helfern aus dem Stamme der Kuraisch, eine von Fehlern bereinigte Version, die in die vier Hauptstädte des Islamischen Reiches, Medina, Damaskus, Kufa und Basra, versandt wurden. Dies ist der „Othmanische Koran“, nach islamischer Tradition die einzige gültige Version. 114 Suren mit bis zu 286 Versen pro Sure, das entspricht rund 600 Seiten in der Reclam-Ausgabe, wurden Muhamad vom Erzengel Gabriel nach traditioneller Lehrmeinung übermittelt, die er an seine Anhänger wörtlich ohne Fehl und Irrtum weitergab. Allerdings nicht als Buch, sondern wie eine imaginäre Schallplatte, denn die Weitergabe erfolgte ja nach der Tradition mündlich. Die Anhänger memorierten die Suren oder schrieben sie provisorisch auf, wobei mit dem Material bisweilen recht nachlässig umgegangen wurde. Aber auch hier gab es keine Fehler und keinen Irrtum. Mehrere „offizielle“ und sehr tief greifende Bearbeitungen folgten im Lauf der Jahre. Die vom Anspruch her vollkommen reine arabische Sprache des Korans enthält viele Fremdwörter und ist auch für Araber ohne Kommentar nicht lesbar. Zahlreiche Verse gehören offensichtlich nicht an die Stelle, an der sie sich befinden. Die Anordnung der Suren, der Länge nach absteigend von der längsten zur kürzesten, erschwert die Einordnung. Trotzdem steht heute noch der Anspruch, jedes Wort im heute kanonischen Koran, der Referenzausgabe von Kairo 1924, sei ohne Fehl und Irrtum Gottes Wort und damit ewig und unverrückbar.
Nach traditioneller islamischer Überlieferung also verkündigte der Prophet Muhamad zwischen 610 und 632 Offenbarungen und gründete damit eine neue Religion. Zu seinen Lebzeiten existierten nur mündliche Überlieferungen, aber sein dritter Nachfolger, der Kalif Othman, soll nach traditioneller islamischer Auffassung das Material 20 Jahre später zu einem Buch zusammengefügt haben, dem sogenannten „Othmanischen Koran“. Dieser soll bereits die endgültige orthografische und inhaltliche Autorität repräsentiert haben. In wenigen Jahren sollen sich Buch wie Religion über Syrien, Arabien, Irak, Persien, Zentralasien, Ägypten und Nordafrika verbreitet haben. Ein epochaler Vorgang von unglaublicher Geschwindigkeit. Wenn es denn so war. Wer behauptet das? Oder andersherum: Wie sehen die Quellen aus? Von islamischer Seite haben wir keinerlei zeitgenössische Belege. Wir haben keinen Othmanischen Urkoran, keinerlei andere zeitnahe Angaben, der erste bekannte Koran stammt aus dem Ende des 9. Jahrhunderts, auch die bisher bekannten Fragmente reichen nicht in die Zeit eines behaupteten Kalifen Othman zurück. Der Herausgeber des Urkoran, der ominöse Kalif Othman, ist historisch nicht fassbar. Es gibt nicht einen einzigen außerislamischen Hinweis auf ihn, von einem Nachweis gar nicht zu reden. Erst zwei Jahrhunderte nach den behaupteten Ereignissen setzen die ersten islamischen Berichte über Muhamad und sein Buch ein, die meisten sind drei Jahrhunderte danach entstanden. Der Wissenschaft allerdings sind Materialien aus der Zeit vor dem Propheten bekannt, die später im endgültigen Koran wieder auftauchen. Nach Schätzung des Koranforschers Günter Lüling macht das vormohammedanische Material nicht weniger als dreißig Prozent des späteren Korans aus. Der Wissenschaft also sind wenigstens Fragmente des späteren Korans bekannt, die aus der Zeit Muhamads und davor datieren. Koranschriften aus der Zeit vor dem Gründer des Islam? Theodor Nöldeke hatte bereits 1909 einen Katalog zahlreicher Fehler und Eigentümlichkeiten der Koransprache erstellt. Er erwähnt Überschneidungen mit der syro-aramäischen Sprache, ohne aber weiter darauf einzugehen. Der im Irak gebürtige Handschriftenforscher Alphonse Hormizd Mingana stellte 1927 als Erster die starke Durchmischung des Koranarabischen mit dem Syro-Aramäischen heraus. Lüling bestätigt und vertieft später diese Ergebnisse. Es gibt zahlreiche Koranpassagen, die sogenannten „dunklen Stellen“, die auch für arabische Interpreten nicht vernünftig lesbar sind. Dies führte dann zu den vielen – oft völlig unterschiedlichen – Interpretationen, die für die islamische Lehre kennzeichnend sind. Nach islamischer Meinung ist ja die Sprache Gottes selber Arabisch. Wer diese Passagen nicht lesen könne, beherrsche demnach ganz einfach nicht das perfekte Arabisch Gottes.

Die Syro-aramäische Leseart des Korans

Der Koran, die heilige Schrift des Islam, gilt nach islamischer Lehre als das dem Propheten Mohammed über rund 20 Jahre (ca. 612-632 n. Chr.) in "deutlicher arabischer Sprache" (nach Aussage des Koran) geoffenbarte Wort Gottes. Dennoch gestehen die namhaftesten arabischen Kommentatoren, die im großen (30 bändigen) Korankommentar von at-Tabari (838-923 n. Chr.) zu Wort kommen, ihre Ratlosigkeit bei der Deutung zahlreicher Ausdrücke und Passagen des Korantextes ein. Der Grund dafür wird auf die Eigentümlichkeiten der Sprache von Mekka zurückgeführt, die die späteren Araber nicht mehr kannten. Die ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende abendländische Koranforschung hat sich ihrerseits der Problematik der Koransprache gewidmet. Über die etymologische Erklärung einer begrenzten Zahl von Fremdwörtern im Koran kam sie jedoch bisher nicht hinaus. Die letzen uns vorliegenden Standartübersetzungen der als Autoritäten anerkannten westlichen Koranforscher Rudi Paret (Deutschland), Régis Blachère (Frankreich) und Richard Bell (England) geben in weiten Teilen ihrer Deutungsversuche die Unsicherheiten der arabischen Kommentatoren wieder. Aus ihren Übertragungen werden die Grenzen deutlich, die einer effizienten westlichen Koranforschung gesetzt sind. Hier setzt die neue Arbeit von Christoph Luxenberg ein. Von den dunklen Stellen" im Koran ausgehend, besteht sein Ansatz darin, den Korantext in seinem sprachhistorischen Kontext zu betrachten. 

''Machen sie sich denn keine Gedanken über den Koran? Wenn er von jemand anderem als (von) Allah wäre, würden sie in ihm viel Widerspruch finden.'' Sure 4,82

Fangen wir mit der Sure 19 an. Zunächst beschreibt sie die Empfängnis Marias und kommt dann zu ihrer Verzweiflung über die uneheliche Geburt ihres Sohnes Jesus, sie wünscht sich deswegen den Tod herbei. Im Vers 24 dieser Sure heißt es in der traditionellen Übersetzung: „Und es rief er [Jesus] unter ihr: Bekümmere dich nicht, dein Herr hat unter dir ein Bächlein fließen lassen!“ In Syro-Aramäisch gelesen heißt der Vers hingegen: „Da rief er [Jesus] ihr nach der Niederkunft zu: Sei nicht traurig, der Herr hat deine Niederkunft legitim gemacht.“ Ein vormals eigenartiger Satz bekommt plötzlich seinen Sinn! (Am Sprachgenie des Baby-Jesus darf man sich nicht stören, es wird in mehreren Koranstellen bemüht. Und, man streiche sich das geistig rot an, so finden wir das auch im Thomasevangelium) Auch die Huris, die Paradiesjungfrauen, die der Koran den Märtyrern im Dutzend verspricht, sehen bei Luxenberg ganz anders aus. Im Koran liest sich das in der traditionellen Übersetzung so: Sure 44:54: „Und wir geben ihnen [den Gläubigen] großäugige Huris als Gattinnen.“ Dieser Vers heißt in der autorisierten arabischen Version: wa-zawwagnahum bi-hur inin und kann nach Luxenberg im klassischen Arabisch gelesen werden als verheiraten. Aber nur dann, wenn man über das r und unter das h einen diakritischen Punkt setzt, der anzeigt, wie der Buchstabe präzise zu lesen ist. Diese diakritischen Punkte gab es aber nicht in den frühen Texten. Und ohne die Punkte liest sich das Wort rawwah-nahum, was im Arabischen ausruhen lassen bedeutet. Hur ist zweifellos der Plural von weiblich hawra, heißt also weiße. In ist in Arabisch nicht verstehbar, deswegen interpretieren die arabischen Bearbeiter des Korans in als Plural von ain (Auge, Brunnen), obwohl es korrekt uyun bzw. ayun heißen müsste. Hur in wären also weiße Augen. Dies aber ist auch im Arabischen in diesem Zusammenhang Unsinn (an anderer Stelle im Koran, Sure 12:84, bedeutet weiße Augen denn auch erblindet). Deswegen bieten die arabischen Koraninterpreten „großäugige Weiße“ an. Daraus wurden „großäugige Huris“ – die „Paradiesjungfrauen“ waren geboren. Luxenberg weist jedoch durch koranische wie außerkoranische Querverweise nach, dass mit den „Weißen“ im Paradieskontext zweifelsfrei Weintrauben gemeint sind. Das arabisch unverstandene Wort in bedeutet in Aramäisch kristallklar, glänzend, prachtvolles Aussehen. Die hur in sind also keine Wesen, schon gar nicht Huris, sondern kristallklare, prachtvolle Weintrauben. Und zuletzt meint bi nicht das arabische mit, sondern das aramäische unter. Der Gläubige wird also nicht mit den Huris verpaart, sondern er rastet unter den hur in, also unter den Weintrauben. Sure 44:54 liest sich nach Luxenberg also richtig: „Wir werden es ihnen unter prachtvollen Weintrauben behaglich machen.“ Ein nicht unbeachtlicher Unterschied, muss man konstatieren (und mit nicht unerheblichen Konsequenzen für die „Märtyrer“). Den Huris dichten die Interpreten in verschiedenen Versen diverse Attribute an. Sure 2:25: „Im Paradies warten gereinigte Gattinnen auf sie.“ In Wirklichkeit ist die Rede von „allerlei Arten von reinen Früchten“. Aus Sure 38:52 leiten die arabischen Koraninterpreten das Alter der Huris ab. Sie sind zunächst „gleichaltrig“, dann werden sie „jung“, „immerwährend jung“, und in späteren Interpretationen wird ihnen sogar ein Alter zugewiesen: „33 Jahre“. Nichts davon steht im Koran. Es geht um das Wort atrab, das im Arabischen nicht verständlich ist und deshalb mit den genannten Interpretationen versehen wurde. Die aramäische Wurzel bedeutet saftig, Fruchtfleisch. Aus Sure 38:52 nach traditioneller Lesart: „Während sie gleichaltrige [ewig junge, 33-jährige] Huris bei sich haben, die Augen niedergeschlagen …“ wird in der korrekten aramäischen Übersetzung: „Bei ihnen werden niederhängende, saftige Früchte sein.“
Den Vogel schießen die Interpreten mit Sure 55:56 und 74 ab, wo die Huris schließlich zu Jungfrauen ernannt werden. In weiteren Interpretationen bleiben sie sogar ewig Jungfrauen, auch wenn sie den Gläubigen bereits zur Verfügung gestanden hatten: Sure 55:56: „Darin [in den Gärten] befinden sich auch, die Augen niedergeschlagen, weibliche Wesen [die huris], die vor ihnen noch niemand [weder Mensch noch Dschinn] entjungfert hat.“ Die Interpretation des Ausdrucks lam yatmithunna als „entjungfern“ stammt vom Koraninterpreten at-Tabari und wurde kritiklos weitergeführt, wobei die syro-aramäische Wurzel ohne Zweifel lediglich verunreinigen, beflecken bedeutet. Der ganze Satz heißt demnach: „Darin befinden sich herabhängende Früchte, die noch niemand angerührt hat.“ Luxenberg merkt zu dieser Stelle an: „Mit der Interpretation ‚entjungfern‘ ist der Gipfel erreicht. Wer den Koran mit etwas Verständnis liest, muss an dieser Stelle geradezu die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Nicht nur Unwissenheit ist daran schuld, es gehört schon eine gute Portion Dreistigkeit dazu, bei einer heiligen Schrift sich so etwas auszudenken und dies dem Koran zu unterstellen.“  Wir wissen von den Huris bereits, dass sie hübsch, 33 Jahre alt und ewig jungfräulich sind. In Sure 78:33 erfahren wir ein weiteres Detail – sie sind vollbusig: „[Die Gottesfürchtigen erwarten] junge Huris mit schwellenden Brüsten und einem Becher mit Wein, bis an den Rand gefüllt.“ Die schwellenden Brüste sind in Wirklichkeit üppige, saftige Früchte, wie Luxenberg ausführlich nachweist. Die Huris entstammen also vollkommen dem Reich der Fantasie, aber damit nicht genug, es gibt auch noch ewig junge Knaben im Paradies, die den Frommen zur Verfügung stehen. Sure 76:19: „Ewig junge Knaben [wildanun muhalladuna] machen die Runde unter ihnen [den Gläubigen] …“ Die „Knaben“ weist Luxenberg als aramäisch für „Saft“ oder „Wein“ nach („Kind der Weinrebe“ = Erzeugnis der Weinrebe = Saft oder Wein). Muhalladuna bekommt durch Umsetzen eines einzigen Punktes (Unterpunkt statt Oberpunkt, aus h wird g) seine aramäische Originalbedeutung, nämlich eiskalt, eisgekühlt. Es machen also statt ewig junger Knaben in Wirklichkeit eisgekühlte Früchte die Runde. Die gesamte „Kopftuchproblematik“ löst Luxenberg mit einer weiteren Präzisierung über das Aramäische auf. Im Koran gibt es nur eine einzige Stelle, die scheinbar auf das Kopftuch Bezug nimmt. Es ist die Sure 24, Vers 31: Der ganze fragliche Satz lautet: „Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke niederschlagen und ihre Scham hüten und dass sie nicht ihre Reize zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und dass sie ihr Tuch über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihren Ehegatten zeigen oder ihren Vätern oder den Vätern ihrer Ehegatten oder ihren Söhnen oder den Söhnen ihrer Ehegatten oder ihren Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder oder den Söhnen ihrer Schwestern oder ihren Frauen oder denen, die ein Recht auf sie besitzen, oder ihren Dienern, die keinen Trieb haben, oder Kindern, die ihre Blöße nicht beachten.“ Wörtlich übersetzt heißt diese Passage im arabischen Koran: „Sie sollen sich ihre chumur über ihre Taschen schlagen.“ Was sind nun diese chumur, und welchen Sinn sollen die Taschen ergeben? Tabari übersetzt chumur mit Kopftuch und setzt, ohne Referenzen zu nennen oder Gründe anzugeben, hinzu, dass dieses Kopftuch Haar, Hals und Ohrgehänge zu bedecken habe. Luxenberg weist nun die ominösen chumur (Singular chimar) als das verschriebene aramäische gmar = Band, Gürtel nach. Weiter weist er nach, dass das Wort „schlagen“ im Zusammenhang mit den Begriffen „Band, Gürtel“ verwandt wurde, also eine Phrase bildete, die im Übrigen im heutigen Aramäisch noch in Gebrauch ist: „Das Band, den Stoffgürtel umschlagen.“ Und zwar um die Lenden und nicht um die „Taschen“. Der Satz heißt also in Wirklichkeit: „Sie sollen sich ihre Gürtel um die Lenden binden.“
Der Perser und arabische Philologe Tabari hatte nachträglich, um das Jahr 900, also 300 Jahre nach der kolportierten Zeit der Entstehung, in seinem Korankommentar das im Arabischen nicht existente Wort chumur / chimar schlicht nicht verstanden. Ohne eine Erklärung zu liefern, interpretiert er es als „Kopftuch“ und fügt hinzu, dieses Kopftuch „solle Hals, Haare und Ohrringe“ verdecken. Von da an nahm die islamische Welt das Gebot zum Kopftuch als Befehl Gottes an. Es ist in Wirklichkeit nichts weiter als die persönliche Meinung at-Tabaris. Nach Luxenberg „wären muslimische Frauen demnach berechtigt, die Authentizität des koranischen Wortlauts wiederherzustellen und aus den Kopftüchern, die man ihnen seit Jahrhunderten zu Unrecht aufgezwungen hat, wieder Gürtel zu machen.“ Die vereinende Sprache der Zeit war das Aramäische. Der Koran ist so stark mit dem Aramäischen durchsetzt, dass Luxenberg von der Existenz eines aramäischen Urkorans ausgeht.

Das traditionelle Koranarabisch hat es im 6. oder 7. Jahrhundert, der Zeit Muhamads und der behaupteten Herabsendung des Korans, nicht gegeben. Weil eine definierte arabische Sprache und Schrift fehlte, mussten diese erstellt werden. Dies geschah vornehmlich im 9. Jahrhundert, durchgeführt von einer Gruppe von Editoren, deren prominenteste Mitglieder wir namentlich kennen, allen voran den bereits erwähnten Tabari. Es wird nun klar, dass diese Leute den Koran eigentlich nicht interpretierten, wie es so schön heißt, sondern in Wirklichkeit übersetzten und dazu noch die Sprachregeln für die Übersetzung selber festlegten.
Neben diesen systematischen Fehlern gab es jede Menge Versions- und Kopierfehler. Das heißt, in der handschriftlichen Verbreitung tauchten verschiedene Versionen auf, und es unterliefen Schreibfehler. Nehmen wir die Suren 50:12 – 14 und 26:176 – 177, wo die wegen Ungläubigkeit Bestraften aufgeführt werden: Neben Lut (dem biblischen Lot) sind es unter anderem die „Leute des Dickichts“ (Ashab al Aykah) und die „Leute des Brunnens“ (Ashab ar-Rass). Al Aykah heißt Dickicht, mit den „Leuten des Dickichts“, wie es im Koran steht, weiß aber auch kein Korangelehrter so richtig etwas anzufangen. Das Wort kommt viermal in der offiziellen Version des Korans von Kairo vor. Zweimal „korrekt“ mit dem Artikel al (Suren 15:78 und 50:14), also Al Aykah, zweimal aber (Suren 26:176 und 38:13) fehlt das a vom Artikel al. Das Wort wird dann gelesen als Laykah. Al Aykah? Oder Laykah? In einer frühen Handschrift aus Sanaa findet sich die Schreibart Laykah an der Stelle, wo die Kairoer Ausgabe Al Aykah schreibt. Abu Ubaydah (9. Jahrhundert) sieht in Laykah einen Ort, ebenso Abu Hayyan al-Garnati (14. Jahrhundert). Letzterer betrachtet eine andere Lesart sogar „beinahe als Abfall vom Glauben, was Gott verhüten möge“. Genau diese andere gotteslästerliche Lesart hat sich der gegenwärtig offizielle Koran zu eigen gemacht. Die Korangelehrten stecken damit gleich doppelt in einer Zwickmühle, denn sie müssten zugeben, dass die „korrekte“ Version im offiziellen Kairoer Koran falsch ist oder dass die „nicht korrekte“ Version richtig ist. Beides ist nicht vorgesehen, denn der Koran ist ja nach offizieller Lesart von Muhamad bis heute fehlerlos tradiert worden. Auch macht das Beispiel wiederum deutlich, welchen Unterschied ein gesetzter oder unterlassener Strich oder diakritischer Punkt machen kann. Die moderne – nichtislamische – Forschung sagt uns, dass Laykah die sinnvolle Lesart darstelle, denn damit sei nichts anderes als der bekannte antike Rotmeerhafen Leuke Kome gemeint. Die Ashab ar-Rass, die „Leute des Brunnens“, seien dann die schon von dem Geografen Ptolemäus genannten „Arsae“ (Arser) nördlich von Yanbu an der Rotmeerküste. Nicht einmal bei dem viel berufenen Stammvater Abraham gibt es eine einheitliche Schreibweise: Er firmiert 15-mal als Abraham im Koran, und 54-mal als Ibrahim. Das lässt auf eine unterschiedliche Herkunft der Texte schließen.

Es existieren zahlreiche Fragmente von Koranhandschriften aus frühislamischer Zeit (Leiden, Berlin, Paris, Sanaa), die Korrekturen aufweisen. Buchstaben und ganze Wörter wurden ausradiert, korrigiert oder neu eingesetzt. Auch die Handschriftenforschern bestens bekannten „Palimpseste“ sind darunter. Ein Palimpsest ist ein Pergament, dessen erste Beschriftung aus Gründen der Sparsamkeit abgewaschen wurde und dann eine neue Beschriftung erfolgte. Moderne Methoden können die zugrunde liegende erste Beschriftung sichtbar machen. Bei den Sanaaner Palimpsesten aus dem 8. Jahrhundert stellen wir das Bestreben fest, an einem Text so viele Korrekturen wie möglich anzubringen. Nahmen diese Korrekturen überhand, löschte man das Blatt und beschrieb es neu. Stets gab es Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Beschriftung, meist nur geringfügig in der Orthografie, aber bisweilen auch in den Wortbedeutungen und fehlenden oder hinzugefügten Passagen. Fehler sind bei handschriftlichen Kopien eine wohlbekannte und ganz normale Erscheinung – ganz besonders bei arabischen Texten, wo ein falscher oder unklarer Strich oder ein unterlassener oder falsch gesetzter Punkt einen substanziellen Unterschied in der Bedeutung ausmachen kann. Ubaydallah, der Gouverneur Mesopotamiens, hat nach eigenem Bekunden 2000 Alif („a“) in einen Korantext einkorrigiert. Luxenberg steuerte einen weiteren Beweis bei, als er in der aramäischen Lesart des Korans auf eine erzchristliche Tradition stieß. Er sieht in Sure 97 die Weihnachtsgeschichte. Die Sure enthält fünf Verse und lautet in traditioneller Übersetzung: 1: Wir haben ihn in der Nacht der Bestimmung hinabgesandt. 2: Aber wie kannst du wissen, was die Nacht der Bestimmung ist? 3: Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate. 4: Die Engel und der Geist kommen in ihr mit der Erlaubnis ihres Herrn hinab, lauter Logoswesen. 5: Sie ist (voller) Heil, bis die Morgenröte sichtbar wird. Die zusammenfassende Kommentierung von Tabari: „Der Koran ist in dieser Nacht in den unteren Himmel herabgekommen. Je nach Bestimmung sandte Gott etwas davon auf die Erde herab, bis der Koran vollendet wurde. Zwischen Anfang und Ende der Offenbarung bestanden zwanzig Jahre. Der Anfang des Korans ist in dieser Nacht heruntergekommen.“ Tabari meint also, dass mit ihn „er“, der Koran, gemeint sei. Wie kommt er zu dieser Meinung, die aus dem Kontext nicht zu erschließen ist? Luxenberg weist nun nach, dass im Aramäischen „Bestimmung“ Schicksalsbestimmung durch Geburt, Geburtsstern, Weihnachten bedeutet. Wer zu Weihnachten herabgesandt wurde, wäre demnach Jesus und nicht der Koran. Tabari muss gemerkt haben, dass ein Stern im Spiel ist, denn er lässt den Koran in den unteren Himmel, also in die Sternensphäre des koranischen Himmels, herabsteigen. Vers 3: Die Nacht der Bestimmung ist besser als tausend Monate Leyla (Nacht) ist im Aramäischen nach Luxenberg nicht nur ein allgemeines Wort für „Nacht“, sondern auch ein liturgischer Begriff im Sinne von „Nachtgebet“, entsprechend der lateinischen „Nokturn“. Mit den Monaten sei keineswegs das arabische schahr (Monat) gemeint, vielmehr der aramäische, liturgische Fachausdruck schara, was Vigilien bedeutet, also die Nachtwachen vor einem hohen Feiertag.
In Vers 4 derselben Sure „kommen die Engel herab, lauter Logos(!)wesen“. Nach Luxenberg kommen vom Logos, dem Geiste, begleitete Engel mit „Hymnen“ herab: also der bekannte „Chor der Engel“. Die ganze Sure liest sich also nach Luxenberg: Wir haben ihn (= den Jesusknaben) in der Nacht der Schicksalsbestimmung (= des Geburtssterns, Weihnachten) herabkommen lassen. Was weißt du, was die Nacht der Schicksalsbestimmung ist? Die Nacht (= die Nokturn) der Schicksalsbestimmung ist gnadenreicher als tausend Vigilien. Die Engel, vom Geiste (begleitet), bringen darin mit Erlaubnis ihres Herrn allerlei Hymnen herab. Friede ist sie bis zum Anbruch der Morgendämmerung.
Man braucht nur „er / ihn“ im Kontext der von Luxenberg postulierten Wortbedeutungen zu lesen, also „Jesus“ statt „Koran“, und schon kommt eine ganz andere Bedeutung zum Vorschein: nämlich die Weihnachtsgeschichte (was im Übrigen bereits mehrere Forscher vor Luxenberg vermutet hatten).

Nebenbei stellt Luxenberg richtig, dass die koranischen tanazzalu (Engel) korrekt die tunazzilu sind – der Teufel steckt wiederum im Detail winziger, nachträglich falsch gesetzter Zeichen. Eine weitere „dunkle“, das heißt nicht verstandene Sure ist die Sure 108. Für Luxenberg ist sie eine Fehllesung der aramäischen Version des Petrusbriefes (Kapitel 5, Verse 8 – 9) und zweifellos vorkoranisch. Der Text „gehört zu jenem Grundstock, aus dem der Koran als christlichliturgisches Buch ursprünglich bestand“. Nach Luxenbergs Meinung fällt alles darunter, was man traditionell zur „ersten mekkanischen Periode“ rechnet.

Moses wird im Koran 136-mal genannt, Maria 34-mal, Jesus 24-mal, und Muhamad 4-mal. 1999 wurde bei einem Wikinger-Fund eine arabische Münze aus dem Jahr 766 entdeckt – also 130 Jahre nach „Muhamad“ geprägt – mit der Aufschrift Musa rasul Allah („Moses ist der Gesandte Gottes“). Moses, Jesus und Maria (zusammen 194 Nennungen) sind im theologischen Teil des Korans in sehr großem Umfang präsent. Forscher kommen zu dem Schluss, dass im theologischen Teil des Korans sehr viel an christlichem Gedankengut steckt.

Die Koranversionen

Quran kommt vom aramäischen Qeryan, was „Lektionar“, bedeutet, also ein liturgisches Buch, das ausgewählte Texte aus der Schrift, dem Alten und dem Neuen Testament, enthält. Man darf als Ausgangsmaterial das Diatessaron annehmen, ein Liturgiebuch der syrischen Christen, in dem jedoch die vier Evangelien quasi in Kurzform zu einem zusammengezogen waren. Auch der Koran spricht des Öfteren vom „Evangelium“, obwohl es mehrere waren. Die Strukturnamen des Quran sind vom Qeryan entlehnt: sura (Sure), aya (Vers). Und als kleines, aber feines Detail am Rande finden sich auch die typischen Verstrenner syrischer Liturgieschriften, ein durch 4 Punkte gebildetes Kreuz , im Koran wieder . Man darf Quran in der Frühzeit nicht als Heiliges Buch des Islam auffassen, wie wir es gewohnt sind, sondern einfach als Begriff für ein liturgisches Buch der syrisch-christlichen Araber. 1924 gab die Al-Azhar-Universität von Kairo eine Ausgabe des Korans heraus, die mit dem „Othmanischen Koran“ identisch sein sollte. Dieser „Othmanische Koran“ ist benannt nach dem 3. Kalifen Othman (644 – 656), der nach der Tradition die erste gültige Koranversion zusammenstellte und alle anderen kursierenden Versionen als falsch verbrennen ließ.
Ein „Othmanischer Koran“, das heißt eine nachgewiesen auf Othman zurückgehende Version, ist allerdings nicht existent. Wir kennen zwar keinen Othmanischen Koran, aber wir kennen zahlreiche frühe Korantexte. Keiner davon hat Lesehilfen, keiner ist im Koranarabisch heutigen muslimischen Verständnisses abgefasst, alle weichen voneinander ab. In Sanaa wurden in den 1970er-Jahren Koranfragmente aus dem 8. Jahrhundert mit einer anderen Surenfolge als der im offiziellen Koran von Kairo gefunden. Selbst noch aus dem 10. Jahrhundert sind zahlreiche Koranversionen mit anderer Surenfolge als der offiziellen nachgewiesen. Die ältesten uns bekannten Korantexte stammen aus dem frühen 8. Jahrhundert, wobei die genaue Datierung gewisse Probleme aufwirft. Es steht außer Zweifel, dass die Kairoer Koranversion nicht aus dem 7. Jahrhundert stammen kann, sondern auf eine jüngere Bearbeitung zurückgeht. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass uns weder ein „Othmanischer Koran“ bekannt ist noch irgendeine Spur vom Kalifen Othman selber. Von keinem der ersten vier Kalifen gibt es irgendwelche religionsunabhängigen Spuren.

Der türkische Gelehrte Tayyar Altikulac verglich eine bestimmte, als korrekt angesehene moderne Koranausgabe mit einer im Topkapi-Palast von Istanbul aufbewahrten Handschrift, die ebenfalls dem besagten Kalifen Othman zugeschrieben wird. Die Untersuchung erfolgte durchaus nach dem wissenschaftlich üblichen Prozedere. Es stellten sich aber so viele Abweichungen heraus, dass die beiden Texte unmöglich identisch sein konnten, die Handschrift konnte also nicht wie erhofft das Original Othmans sein beziehungsweise der moderne Text keine Kopie des Originals. Trotzdem erklärte Dr. Altikulac die Editionen als „ähnlich“ und verwies darauf, dass die Verse ohnehin stets von einem „befähigten Mund“ (fam muhsin) weitergegeben worden sein, der sie immer richtig zu lesen gewusst habe. Die Behauptung der Unwichtigkeit von schriftlichen Abweichungen, weil ja nur die Aussprache zähle (die man nicht mehr nachweisen kann), ist eine beliebte Erklärung für Versionsunterschiede. Wobei inzwischen außer Zweifel steht, dass trotz des Vorhandenseins einer oralen Tradition die Tradierung auch schriftlich erfolgte. Dem loyalen Forscher muss aber etwas unheimlich zumute gewesen sein, denn er schlug vor, die beiden Versionen „einander anzupassen“ und dann „weitere Untersuchungen zu verbieten“. Das nennt man Wissenschaftlichkeit. Durch gezielte Suche fand etwa der sächsische Edelmann Konstantin von Tischendorf, im Auftrag und auf Rechnung des Zaren unterwegs, 1844 im Sinai-Kloster eine Bibel-Handschrift aus dem 4. Jahrhundert. Bestens ausgebildete Mönche verglichen die verschiedenen Texte und versuchten, die ursprüngliche Bedeutung herauszufiltern. Nicolaus Cusanus (1400 – 1458) schlug vor, den Koran nach ursprünglichen Inhalten aus den Evangelien zu untersuchen. Martin Luther hielt wenig davon, weil die Texte bereits untrennbar vermischt seien. Dies zeigt, dass im wissenschaftlichen Korpus der Kirche die Grundlagen des Korans stets als christliche gesehen wurden, es macht aber auch deutlich, dass es in der Bibelforschung als essenziell angesehen wurde, durch möglichst zeitnahe Texte möglich nahe ans Geschehen heranzukommen. Dies sollte für jegliche Religionsforschung eine Selbstverständlichkeit sein.

Der Koran kam nicht von einem Tag auf den anderen in die Welt, wie die fromme Legende uns das weismachen will. Wie die meisten heiligen Bücher hat auch der Koran einen langen Werdegang mit vielen Modifikationen hinter sich. Syro-aramäische Urtexte, aramäisch-arabische Übergangsformen, das Qeryan der arabischen Christen, persische Einflüsse, lokale Traditionen, vielfältige arabische Bearbeitungen: Das alles macht den Koran aus. Etwa 25 Prozent des Textes sind, wie wir jetzt schon wissen, vollkommen fehlübersetzt. Wie man aufgrund der noch wenigen, aber schlicht spektakulären Resultate der gerade beginnenden wissenschaftlichen Koranforschung annehmen darf, dürften die Fehllesungen einen großen Prozentsatz des Korans ausmachen. Es gibt eine Vielzahl von Handschriften, die überhaupt noch nicht untersucht wurden, und man kann mit dem Auftauchen noch weiterer bislang unbekannter Texte rechnen.
Die erste Druckversion des Korans gab es 1802 in Kazan, Russland. Das heißt, über drei Viertel seiner Geschichte hinweg wurde der Koran handschriftlich verbreitet – mit den dafür typischen Fehlern. Nicht zwei handschriftlich kopierte Texte solchen Umfanges sind identisch. Dies ist kein koranischer Sonderfall, alle Bücher dieser Art, die über einen so langen Zeitraum überliefert wurden, haben das gleiche Schicksal. Nur, man hat ein riesiges Problem, wenn man für den auf uns überkommenen Text – von Muhamad bis Kairo 1924 – vollkommene Identität und Fehlerlosigkeit beansprucht. Dies ist vielfach nachgewiesen nicht der Fall. Aber es ist nach wie vor das islamische Credo, und dies ist der Kernpunkt der Kritik. Änderungen, Fehler, Fälschungen und Irrtümer sind zu Tausenden belegt. Nach islamischer Lehre ist jede Änderung am originalen Text eine Gotteslästerung. Nimmt man diese Aussage ernst, dann ist der heute offizielle Koran eine einzige Gotteslästerung.

Die Hadithe

Die Zahl der Hadithe überschreitet die Millionengrenze. Sechs Sammlungen sind kanonisiert, also vom sunnitischen Klerus offiziell als authentisch und wahr anerkannt. (Nicht aber von den Schiiten, die ihrerseits fünf eigene Sammlungen präsentieren.) Die Autoren dieser sechs offiziellen Sammlungen sind al-Buhari (gest. 870), Muslim (gest. 875), Ibn Madscha (gest. 886), Abu Dawud (gest. 888), Tirmidhi (gest. 892), und Nasa’i (gest. 915). Die früheste, gelegentlich zitierte Sammlung biografischer Daten von Ibn Ishak (gest. um 770) ist nicht belegt, die Sammlung von Ibn Hisham (gest. 834) ist seltsamerweise nicht kanonisiert. Zur Erinnerung: Der Prophet war 632 gestorben. Das bedeutet, die Hadithe sind 150 bis 250 Jahre nach seinem Tod niedergeschrieben worden, manche noch viel später. Bis dahin wurden sie mündlich weitergegeben, vornehmlich von quassas, professionellen Geschichtenerzählern. Die Geschichten über die Aussprüche und Taten des Propheten Muhamad wanderten in wörtlicher Rede von Teefeuer zu Teefeuer, von Markt zu Markt, von einer Generation zur anderen, bis sie bei einem der Schreiber landeten. Ein gewisser al-Audscha gab zu, 4 000 Hadithe frei erfunden zu haben. Abu Dawud, Autor einer der offiziellen Sammlungen gab an, von 500 000 Hadithen nur die 4 800 übernommen zu haben, „die authentisch erscheinen, oder fast“. Al-Buhari, der prominenteste Hadith-Editor, erkannte von 600 000 Erzählungen „nur 7 400“ als authentisch an. Bei vorsichtig geschätzten 1,5 Millionen Hadithen als Rohmaterial nur der offiziellen Herausgeber wären Hunderttausende individuelle Überprüfungen der Übermittler notwendig, im günstigsten Falle „nur“ 150 Jahre zurückreichend …

Die Anerkennung eines Hadith als „echt“ ist an Bedingungen geknüpft. Der Gewährsmann muss vertrauenswürdig sein und einen einwandfreien Leumund haben; in Glauben und religiösem Verhalten tadellos sein; die Gewähr bieten, die Angaben auch richtig verstanden zu haben; mehr als nur einen Hadith überliefert haben. Die Überlieferung muss: ausdrücklich feststellen, dass das Berichtete von Muhamad persönlich stammt; eine lückenlose Kette von Gewährsmännern aufweisen; vom Inhalt her in die Zeit Muhamads passen. Über die Qualität eines Hadith entscheidet immer das Isnad, das ist die Kette der Überlieferer. Ist das Isnad in Ordnung, ist es auch das Hadith selber, mag es inhaltlich oder logisch noch so fragwürdig sein. Eine als solide nachgewiesene Überlieferungskette hat ein solides („gesundes“) Hadith zur Folge. Kritik an einem Hadith ist deshalb niemals Kritik am Inhalt, denn der stammt ja der Grundannahme nach immer vom Propheten selber, sondern es ist nur Kritik am Isnad und seinen Tradenten (Überlieferern). Hadithliferanten waren neben dem Propheten seine „Genossen“ und deren „Nachfolger“, insgesamt einige tausend Personen. Ihre Aussagen über den Propheten gelten quasi als Echtheitheitszertifikat mit Ursprungsgarantie. Lange Zeit gab es keine Überprüfung der Hadithe, jedes war „echt“, erst als das Hadithunwesen überhand nahm, erstellte man Kriterien, aber da waren die Dämme bereits gebrochen.

Allerdings gibt es auf Fragen von heute Antworten von gestern – das Grundproblem islamischen Denkens.
Im Prinzip wurde alles, was nach dem Gefühl des naiven Gläubigen richtig war, als Spruch des Propheten zum Hadith. Weil die Quellen vollkommen obskur und nicht verifizierbar sind, kann man die Hadithe getrost als eine Märchensammlung bezeichnen.


Quelle: Good Bye Mohammed: Das neue Bild des Islam
Anmerkung: Für eine Wissenschaftliche Abhandlung des Themas der Syroaramäischen Sprache im Koran siehe hier Die Syro-Aramäische Lesart des Koran: Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache


















































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